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Preis-Proteste: Wie rechtsextrem bin ich, wenn ich meine Rechnungen nicht mehr zahlen kann?

Demonstrativ in Sack und Asche gekleidet versuchten vergangene Woche Rechtsextremisten im sächsischen Pulversdorf eine Massenmobilisierung, diesmal gegen die steigenden Preise.

Erst missbrauchten sie die amerikanische Finanzkrise, um gegenstandslose Befürchtungen vor einem Zusammenbruch des Geldsystems zu schüren, dann marschierten sie gegen die Flüchtlingskrise und zuletzt machten Rechtsextreme, Rechtsextremisten und Rechtsradikale bei den Corona-Demos gemeinsame Sache mit Querdenkern, Impfleugnern, Zweiflern an den Infektionsschutzmaßnahmen und renitenten Sachsen. Nur durch die große Besonnenheit der zuständigen Organe gelang es, die Protestbewegung einzuhegen, so dass sie folgenlos verebbte wie zuvor schon "Occupy Wall Street" und "Fridays for Future". 

Gefahr für das Gemeinwesen

Doch kaum hat sich die Lage beruhigt, droht dem demokratischen Gemeinwesen neue Gefahr. Mit der von rechten Kreisen als "Gaskrise" bezeichneten Transformation Deutschlands zu einer winterfesten Sparnation ohne Abhängigkeiten von despotischen Lieferregimes rücken erklärte Feinde der Verfassungsordnung die zuletzt etwas über die die von der europäischen Zentralbank gezogene Zielmarke von zwei Prozent gestiegenen Preise in den Mittelpunkt ihrer Mobilisierungsbemühungen. "In ihren Netzwerken fantasieren sie von Umsturz und einem drohenden Bürgerkrieg", konnte das frühere Nachrichtenmagazin Der Spiegel recherchieren, nachdem Bundesinnenministerin Nancy Faeser eine entsprechende Spur gelegt hatte

Diejenigen, "die schon in der Coronazeit ihre Verachtung gegen die Demokratie herausgebrüllt haben und dabei oftmals Seite an Seite mit Rechtsextremisten unterwegs waren", so die zuletzt auch als Außenpolitikerin tätige SPD-Frau, würden nun "die stark steigenden Preise als neues Mobilisierungsthema zu missbrauchen versuchen."

Drastische Diagnose

Eine Diagnose, die vielen Menschen Angst macht, Angst vor allem vor der eigenen Angst. Nach einer Umfrage ist es der Bundesregierung mit den zuletzt getroffenen Be- und Entlastungsmaßnahmen zwar gelungen, die Furcht vor dem Rechtsextremismus als bis dato größter gefühlter Gefährdung erstmals auf Platz zwei der Volksängste zu verdrängen. Dafür aber zeigt sich nun jeder Zweite empfänglich für rechtsextreme Botschaften, die zu Protesten gegen galoppierende Inflation und unbezahlbare Energiepreise führen könnten.

Mit Herrnfried Hegenzecht, der als Chef des Bundesblogampelamtes (BBAA) im mecklenburgischen Warin auch oberster deutscher Meinungsfreiheitsbeamter ist, hat PPQ Lesendenfragen diskutiert, in denen es um die gesellschaftlich richtigen Verhaltensweisen geht, die im ersten Winterohnegas gezeigt werden sollten, um auf der sicheren Seite zu sein. Fünf Fragen, fünf Antworten die Halt geben in schweren Zeiten.

1) Bin ich gefährdet, das Vertrauen in die Demokratie zu verlieren, wenn ich Angst vor Geldentwertung und hohen Preisen habe?

Hegenzecht: Dem ist natürlich nicht generell so. Angst vor hohen Preisen ist eine ganz menschliche Regung, vor allem in der ersten Phase der Umstellung. Da beginnt ja erst ein Gewöhnungsprozess, der etwas braucht. Dann schwingt sich das langsam ein, jeder Schweiz- oder Norwegen-Urlauber kennt das. Es gilt aus unserer Sicht als Meinungsfreiheitsschutzbehörde, zur Ruhe aufzufordern. Nicht gleich ärgern, bloß nicht gleich empören. Aller Erfahrung nach lässt der anfangs als unerbittlich und bedrohlich empfundene Leidensdruck binnen kurzer Zeit nach und Gewöhnung setzt ein.

2) Ich habe mein Leben lang gearbeitet und gespart, um im Alter das Leben in Ruhe genießen zu können. Jetzt bangt mir vor meinen letzten Jahren, auch wenn ich unter Freunden und in der Familie natürlich nicht darüber spreche. Zeigt sich da bei mir schon eine Anfälligkeit für rechtsextremes Gedankengut?

Hegenzecht: Das kann man so pauschal nicht sagen, aber ein Alarmsignal ist das schon. Wir als Garanten eines erweiterten Meinungsfreiheitsschutzes schauen selbstverständlich gerade da genau hin, wo die ersten Befunde unauffällig zu sein scheinen. Dadurch bemerken wir oft solche Phänomen, die Sie bei sich entdeckt haben: Man entdeckt, dass man Zweifel hat, ob nicht alle Mühe, alle Anstrengung, aller Einsatz vergebens waren, über Jahrzehnte! Man fürchtet, dass man vor dem Nichts steht! Das verstehe ich, aber ich warne davor, solchen Urängsten nachzugeben. Erst der, der das tut, begibt sich wirklich auf das dünne Eis einer Anfälligkeit für extremistische Einflüsterungen. Ich persönlich empfehle Ablenkung: Genießen Sie das Leben, so lange das noch geht! Gehen Sie ins Kino, so lange noch Strom da ist, ins Restaurant, so lange dort noch gekocht werden kann!

3) Ich habe mich seit Monaten beharrlich gegen Diskussionen verwahrt, in denen Zweifel an der Fähigkeit der Bundesregierung und der EU-Behörden geschürt wurden, die aktuelle Lage in den Griff zu bekommen. Ich war fest überzeugt, dass es genügend Rettungspakete und großzügige Überlebenshilfen für alle geben wird. Jetzt aber habe ich eine Tarifmitteilung meines Versorgers bekommen und ganz ehrlich: Ich kann das nicht bezahlen! Und offenbar gibt es für mich auch keinerlei Hilfen. Bin ich jetzt ein Rechtsextremer? Das würde mich wirklich entsetzen.

Hegenzecht: Ihr letzter Satz macht mir Mut. Auch wenn viel dafür spricht, dass da bei Ihnen etwas ins Rutschen gekommen ist. Ich finde es lobenswert, wie Sie den Putin-Trollen, den Rattenfängern der Linkspartei und den fünften AfD-Kolonnen des Kreml offenbar mutig widersprochen haben, ich will sie aber zugleich warnen: Wirklicher Glaube zeigt sich nicht an schönen Tagen! Das gilt auch für den an unsere Demokratie, der gerade dann fest und unerschütterlich sein sollte, wenn ihre Feinde zur letzten Schlacht gegen sie trommeln. Nur dass Menschen wie Sie bei den ersten drei Hilfspaketen nicht bedacht worden sind und womöglich auch bei vier, fünf und sechs noch nicht dran sind, heißt doch nicht, dass man Sie vergessen hat. Nein, vielmehr vertraut die Regierung ihnen so weit, dass sie sagt, diese Menschen, die stehen so fest hinter uns, die werden ihre Last selbst schultern. Ich nenne das "das kleine Bundesverdienstkreuz". Bleiben Sie im Herzen so stark, dann habe ich Hoffnung für Sie, dass Sie dem druck widerstehen können.

4) Ich sehe in Anquatschversuchen von Freunden, Familienmitgliederinnen und Kolleg*/innen zum Thema der angeblichen Gefahren durch die vermeintlich steigenden Preise den Versuch einer neuen Massenmobilisierung von rechts. Für mich unübersehbar, wie Rechtsextreme und Vordenker aus dem „Querdenker“-Milieu mit Warnungen vor Blackout, Energie-Lockdown und unbezahlbaren Rechnungen Abstiegsängste anheizen und den Frust derer instrumentalisieren, die nicht wissen, dass Preissignale genau das sind, was uns bei Transformation und Energieausstieg hilft. Aber Sie als Fachmann müssen sagen: Ist es besser, auf solche Gesprächsangebote nicht zu reagieren? Oder soll man versuchen, inhaltlich zu argumentieren und zu aufklären?

Hegenzecht: Ich muss Sie enttäuschen. Aus unserer Sicht ist beides falsch. Das Ignorieren von Latrinenparolen aus Moskau führt in der Regel dazu, dass die Betroffenen, die da irgendwelchen Kremllügen auf den Leim gegangen sind, noch mehr als vorher glauben, alles richtig zu wissen. Wollen Sie ihnen das aber ausreden, führt das dazu, dass sie sich mit ihren absurden Argumenten von der selbstgemachten Energiekrise, von den angeblichen milliardenschweren Übergewinnen des Finanzministers allein durch die explodierenden Umsatzsteueranteil bei Gas und Strom und ähnliche Verschwörungsparolen ernstgenommen fühlen. Im Grunde, so hart das ist, hilft nur eines: Machen Sie den Betroffenen klar, dass jeder, der so redet, abgedriftet ist in ein rechtsextremes Milieu, in dem er wissentlich wahrscheinlich gar nicht sein möchte. Appellieren Sie an die Moral dieser Menschen! Geben Sie keinen verloren, aber machen Sie auch keine Kompromisse. Wer umkehrt, glaubwürdig umkehrt und abschwört, der ist willkommen.


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